Es ist zwar nicht mein persönlicher Bericht, aber diese Geschichte trifft auf meinen Weg genauso zu. Ich wollte es wissen und wurde erschüttert. Ich kenne das Gefühl, das er beschreibt zu gut.
Gefunden habe ich den Text hier, er stammt von Marsili Cronberg.
In diesen Tagen kommt man um das Thema Fleischverzicht nicht mehr
herum. So viel Mühe man sich auch gibt: Irgendwann am Tag erwischt es
einen. Regelmäßig. Nichtmal im Feuilleton wird man in Ruhe gelassen. Man
will nachlesen, ob es mal wieder was Neues von Frank Schätzing gibt und
landet bei: „Tiere essen“ von Jonathan Safran Foer. Oder bei Karen
Duve. „Anständig essen“ heißt ihre Version des erhobenen Zeigefingers.
Vor der Glotze will man gemütlich abschalten und wird stattdessen von
irgendeiner Talkshow über Tierrechte um die verdiente Feierabendruhe
gebracht. Oder wenn man an der Fleischtheke im Supermarkt steht: selbst
wenn man nicht blöd angeguckt wird, fühlt man sich inzwischen seltsam.
Deshalb möchte ich heute einmal versuchen, einen Mythos zu
entzaubern. Denn was schon immer so war, kann einfach nicht schlecht
sein.
Fleischessen ist völlig normal. Etwas anderes haben
wir auch nie gelernt, warum also soll man dann davon lassen? Warum soll
ich kein Recht haben, im Supermarkt zum Schweinenacken für 3,90€ das
Kilo zu greifen? „Weil das Tier ein Lebewesen ist und gelitten hat,
gelitten hat, gelitten hat.“ dröhnt es in meinen Ohren und ich kann es
nicht mehr hören. Und selbst beim Fisch, diesem gefühlslosen Tier
versucht eine Veganerstimme in mich zu dringen. Was also tun? Entweder
Ohrstöpsel, den Veganer meinen ganzen Spott über seine Vermenschlichung
von Tieren über den Kopf schütten oder … sich ganz einfach mal darüber
informieren, wie es denn wirklich ist. Damit ich irgendwann mal wieder
ohne schlechtes Gewissen in ein Schnitzel beißen kann. Und zwar Abseits
der ganzen Fanatiker - grundsolide Information will ich.
Das Internet ist heute eine wunderbare Informationsquelle. Also
beginne ich zu surfen. Zuerst lande ich auf einer Informationsseite der
Fleischindustrie und werde prompt bestätigt. „Fleisch gehört zu einer
ausgewogenen Ernährung“ lese ich da und bin ersteinmal erleichtert. Und
dann lese ich, daß die Fleischindustrie sich strikt an das
Tierschutzgesetz hält. Na also! „Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen.“
Ich bin erleichtert. Warum können das diese ganzen Tierrechtler nicht
verstehen? Ich lese weiter: „Anforderung an eine nachhaltige
Nutztierhaltung: Ausübung der Tierhaltung ohne Schäden für den Menschen.
Erhalt der Nutztierpopulation und ihres genetischen Potenzials. Konkret
geht es darum, die Ansprüche der Nutztiere an eine ihnen gemäße
Umgebung zu erfüllen, Belastungen zu reduzieren, ihr genetisches
Leistungspotenzial auszuschöpfen, ihre Leistungsfähigkeit sowie ihre
Vitalität zu erhöhen und damit ihre Nutzungsdauer zu verlängern. Das
schafft im Übrigen auch eine hohe Akzeptanz durch die Verbraucher.“
Das hat gesessen. Ich lese nocheinmal. Genauer. Hab ich da wirklich
gelesen: „Ausschöpfung des genetischen Potentials? Verlängerung der
Nutzungsdauer?“ Jetzt wird mir zum ersten Mal mulmig. Ich fühle
Unbehagen in mir aufsteigen.
Ich meine: selbst wenn es gefühlslose Wesen sind, die da in unseren
Ställen stehen: immerhin waren die doch auch schon vor dem Menschen da
und wurden nicht erst vom Menschen gemacht. Hmm. Ich beginne zu
überlegen. Warum schreibt die Fleischindustrie so was. Die wollen doch
nur das Beste von Mensch UND Tier, oder? Oder wollen sie am Ende doch
nur eines, was im Prinzip alle wollen: mein Geld?
Jetzt will ich es endlich wagen. Ich suche und finde ein Video über
Schlachtung aus irgendeinem ARD-Magazin. Gut recherchiert, nicht so ein
irres Schockvideo wie das von Tierschützern. Zuerst eine Zahl: in
Deutschland werden jedes Jahr 56 Millionen Schweine geschlachtet. Man
wird vorgewarnt: die Bilder, die jetzt gezeigt werden sind nicht so
grausam wie die Wirklichkeit. Das lässt meine Vorahnung nicht besser
werden. Gezeigt wird ein modernes Schlachthaus. Es wird mit Kohlendioxid
betäubt. Alles vollautomatisch. Ich sehe, wie Schweine von einem Gitter
zusammengedrängt werden und: das kann nicht sein! Warum schreien die?
Die schreien und wehren sich. Das Schreien wird immer kläglicher.
Endlich werden sie von der Maschine so zusammengedrückt, daß sie sich
nicht mehr wehren können. Dann verlieren sie das Bewusstsein. Dann erst kommt die Schlachtung und mein erster Reflex ist: ich schalte aus.
Ich gehe spazieren und rege mich auf. Wieso zeigt man solche Bilder?
Das ist doch unmenschlich. Wieso erinnert mich alles was ich sah an
Gräuelszenen, die ich in Geschichte gelernt habe?
Ich setze mich auf eine Bank und beobachte ein paar Vögel. Es sind
Sittiche, Köln hat eine große Sittichpopulation und ich mag diese Tiere.
Ich liebe es, ihnen zuzusehen und vor allem zuzuhören. Ich frage mich
oft, wo sie herkommen, doch ich habe noch nie den Versuch unternommen,
es herauszufinden. Ich will es nicht wissen, denn ich möchte meine
bunten Versionen im Kopf behalten. Meine Version vom entflogenen Vogel,
der eines Tages auf ein halbverhungertes Weibchen traf und es
aufpeppelte. Ich habe in den Stunden auf der Bank im Park eine ganze
Sittichwelt in meinem Kopf entstehen lassen, alles aus Fantasie. Und ich
liebe sie. Ich weiß, daß sie nicht wahr ist, doch ich will sie so
haben. Das können nur Menschen. Deshalb sind sie auch die Herrscher über
die Welt geworden, deshalb können sie Tiere … der nächste Gedanke
bleibt stecken. Irgendwo zwischen Hirn und Mund, in irgendeinem
Nervengang der nahe der Kehle liegen muss, denn die schnürt sich auf
einmal zu.
So fängt es an. Alles geht kaputt im Kopf. Das geliebte
schöne Gedankengebäude. Es bricht zusammen, es explodiert. Und nachher
sitzt man da und fühlt sich hundeelend. Ich bin ein liebender
Familienvater, habe Mitleid mit einer Maus, die ihre frierende Nase da
auf der Wiese nach oben streckt. Verrückt. Wieso bin ich nicht in der
Lage Mitleid zu haben mit 56 Millionen Schweinen? Weil es einfach zu
viele sind?
Dann reiße ich mich zusammen. Ich gehe wieder zurück an den Computer.
Ich atme tief ein, sammle mich wie ein Skispringer vor dem Sprung und
beginne, weiterzurecherchieren. Ich ahne, was mich erwartet. Doch meine
Ahnung ist weit harmloser als die Wirklichkeit. Obwohl sich mein
Verstand dagegen wehrt, will mein Herz es nun wissen. Immerhin nehme ich
mir das Recht heraus, Fleisch, Eier und Käse zu essen, dann muss ich es
auch aushalten zu wissen, woher mein Essen kommt. Was ich finde ist
grausam. Einfach nur grausam. Es widerspricht allem was ich bisher
glaubte, was mir bisher vorgegaukelt wurde, doch es ist wahr. Belegt.
Alles belegt. Ich nenne an dieser Stelle nur eine einzige Zahl von
hunderten, die mich erschütterten: Jedes Jahr sterben 170.000 Kälber, die ihren Milchkuhmüttern weggenommen wurden allein durch die katastrophalen Bedingungen beim Transport.
In dieser Zahl stecken so viele grausame Informationen, daß alles in
mir zusammenstürzt. Meine schöne heile Welt, meine geliebten
Gewohnheiten, mein Anspruch auf Fleisch, mein gefühltes Recht auf etwas,
für das einem Tier Schmerzen zugefügt werden, die ich nie, nie, niemals
toleriert hätte, wenn ich denn davon gewusst hätte. Nur für ein
bisschen Geschmack. Warum hat mir keiner gesagt, daß ein Tier ein
fühlendes Wesen ist? Warum hat mir keiner gesagt, daß eine Kuh ihre
Kälber nicht auf die Welt bringt, damit die Menschen reichlich Milch
trinken und zum Dank ihr zartes Kalb essen können? So habe ich es doch
gelernt. Warum hat mir keiner gesagt, daß Kälbchen leiden, wenn sie von
ihren Müttern getrennt werden, daß Schweine ihre Kinder lieben und
leiden, wenn ihnen die kleinen Ferkelchen entrissen werden? Warum hat mir keiner gesagt, daß Tiere wahnsinnig werden können vor Angst?
Wenn ich das alles gewusst hätte, dann hätte ich geschrieen: HAAAAALT!!!
Doch dann nach einer Stunde der Wut fällt mir auf einmal auf:
… ich habe es gewusst. Ich habe es immer schon gewusst.
Weil es natürlich ist, weil Tiere vom Menschen erst zu Nutztieren
gemacht wurden. Es ist logisch, daß sie keine gefühlslosen Roboter sind.
Wieso konnte ich dieses Wissen, das in allen von uns angelegt ist, so
lange verdrängen?
Weil ich es nicht mehr sah vielleicht? Weil die Nutzung der Tiere
industrialisiert wurde? Weil kaum ein Verbraucher noch sehen kann, wie
sie gehalten und geschlachtet werden? Weil die Produktionsstätten
inzwischen überwacht werden wie Gefängnisse? Nicht damit keiner
ausbrechen, sondern damit kein Unbefugter einbrechen kann, um sehen zu
können, was dort geschieht.
Der Mythos vom gefühllosen Wesen.
Ich betrachte Bilder von
glücklichen Tieren. Eine Kuh auf einer Wiese, ihr Kalb liebevoll an sie
geschmiegt. Darunter steht: „Liebt ihr Kind“. Dann ein Bild einer
glücklichen Menschenmutter mit ihrem Kind. Darunter steht: „Liebt ihr
Kind.“
Veganer sind auch nur Menschen. Sie nerven. Sie sind wütend. Man
versteht sie nicht. Aber nun verstehe ich sie doch. Sie sind so wütend,
weil sie dieses Leid der Tiere sehen können. Weil sie Tag für Tag den
Schmerz spüren, den dieses Wissen und Fühlen in einer Welt auslöst, die
sich nicht um dass Leid der Tiere schert. Ich versuche, mich in einen
Veganer hineinzuversetzen. Ich stelle mir vor, wie ich immer wieder den
Verzicht auf Tier anmahne und dafür nur Spott und Häme ernte. Wie ich
ausgelacht werde, weil ich Tiere vermenschlichen würde.
Doch
ein Veganer ist kein Romantiker. Er ist Realist. Er ist mehr Realist
als wir. Wir sind die Romantiker, wir sind es, die an die heile
Werbewelt glauben, an glückliche Tiere, an grüne Wiesen. Wir sind die
wirklichen Träumer. Und nur weil 75 Millionen etwas Dummes für Richtig
halten, wird es dadurch nicht schlauer.
Ich wollte den Mythos vom veganen Bessermenschen entzaubern. Was ich
wirklich entzaubert habe ist der Mythos von sauberer Tierproduktion und
heilem Tierkonsum.
Veganer sind auch nur Menschen.
Sie vertun sich genauso häufig im
Ton wie andere. Doch ich verstehe auf einmal, daß sie gar nicht für
sich reden. Es geht ihnen nicht darum, sich über andere zu stellen und
den Bessermenschen raushängen zu lassen. Sie werden nur so verstanden.
Doch sie sprechen gar nicht über sich, sie sprechen für andere. Sie
sprechen für fühlende und leidende Lebewesen, die sich nicht in die
Diskussion einmischen können, die aber alles was sie haben hergeben
müssen für unser Wohlergehen: ihr ganzes Leben. Veganer sind Anwälte der Tiere. Ich spüre auf einmal die Last, die auf deren Schulter liegt und dann bleibt ein Gefühl in mir stehen:
Ich schäme mich. Und das tut weh.
Tage später recherchiere ich endlich, wie wichtig Tier für unsere Ernährung ist. Und ich erschrecke. Es gibt nicht eins, nicht ein einziges Argument FÜR Fleischkonsum, das nicht entkräftbar wäre. Dafür hunderte dagegen.
Fleischerzeugung verbraucht bis zu zehnmal soviel pflanzliches Material
wie als wenn Pflanzen direkt gegessen würden. Nahrung aus
Massentierhaltung kommt vor allem aus Drittländern. Vor allem Soja. Für
Soja wird Regenwald abgeholzt. Man sagt, daß für einen Hamburger 4 m²
Regenwald weichen müssen. Die ganze Landwirtschaft in dritte
Welt-Ländern wird zerstört. Die Folge ist Hunger. Millionen Menschen
verhungern, weil wir nicht auf unser billiges Schnitzel verzichten
wollen. Die Meere werden leergefischt, darüber hinaus wird der
Meeresgrund durch Schleppnetze unwiederbringlich vernichtet. Nur weil
einmal ein Netz dadrüber reißt. Ich lerne, wie viel Schmerz auch Fische
spüren.
Ich werde nie wieder Veganer verspotten, denn ich verspotte
damit nicht sie, sondern ich verspotte damit leidende Tiere und
verhungernde Menschen. Ich verspotte damit den Regenwald. Ich verspotte
damit die Zukunft unserer Kinder.
Und ich werde nie wieder ein Stück Fleisch oder Fisch anrühren.
Und wenn ich mit jemandem über die Konsequenzen von Tierkonsum
spreche, dann versuche ich, nicht von oben herab zu argumentieren. Weil
niemand das Recht dazu hat. Kein Mensch hat das. Ich vermeide Streit,
ich will zum Nachdenken bewegen. Denn die Tiere, die Natur und unsere
Kinder, deren Zukunft wir berauben sind die Leidtragenden, nicht ich bin
es. Also stecke ich ein und schlucke herunter, wenn ich verspottet werde. Und argumentiere weiter. Ich brauche Geduld.
Wem ich inzwischen keinen Glauben mehr schenke sind bunte Werbung,
schöne Heilewelt-Videos und Politiker, die versprechen, daß alles besser
wird. Es wird nichts besser, ohne daß die normalen Menschen umdenken.
Ohne daß die Menschen zu begreifen lernen. Die Menschen, die Tag für Tag
konsumieren und damit das Angebot bestimmen. Nichts wird sich ändern in
einem System, daß mit Tierquälerei und Raub an der Zukunft unserer
Kinder sein Geld verdient, ohne daß die Menschen sich diesem System
verweigern.
Inzwischen weiß ich, daß wir auf Messers Schneide leben. Auf
welche Seite es kippt, entscheiden wir. Und wer meint, daß man allein
die Welt nicht ändern kann, der sei daran erinnert, daß es nicht darum
geht, die Welt heute und augenblicklich zu ändern. Das denken nur
Utopisten und ist ein gern benutztes Argument gegen Weltverbesserer. Ich
habe es selbst lange benutzt. Aber wenn man sich der Änderung verwehrt,
dann steht man auf der Seite derer, die uns alle ins Verderben kippen.
Will ich das? Werden meine Enkel stolz auf mich sein können
oder werde ich mich schämen müssen wenn sie mich fragen: „Opa, was hast
du damals gegen das Verbrechen der Massentierhaltung getan?“
2 Kommentare
Hast du mal die Hosen von H&M anprobiert? Die liegen nicht so 100%ig eng an :)
AntwortenLöschenLiebste Grüße
toller text. ich selbst von vegetarier. und finde ihn toll. und haben ihn durch'gelesen. c:
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